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The Time of Our Lives

Internationales Erinnerungstheater-Festival, London (GB), 2000

Unter dem Titel »The Time of Our Lives« veranstaltete das Remeniscence Center London im März 2000 ein Internationales Erinnerungstheater-Festival.

In nur vier Tagen wurde den BesucherInnen ein beeindruckendes Marathon-Programm geboten: 14 Produktionen aus acht Ländern (Taiwan, Süd Afrika, USA, Niederlande, Schweiz, Deutschland, Österreich und Groß Britannien), Workshops in Tanz, Bewegung, Musik und Schauspiel sowie Vorträge und Diskussionsrunden. Die Inanspruchnahme des theoretischen Angebotes war enorm, fachlicher Austausch ist offensichtlich noch Mangelware unter den eher isoliert arbeiteten Gruppen dieses jungen Theaterzweiges. Inhalte, Methoden und Wirkung von Erinnerungstheater, aber auch die Theaterarbeit mit gebrechlichen oder dementen PatientInnen wurden reflektiert.

Sich an etwas erinnern heißt, sich etwas zu vergegenwärtigen. Für den Philosophen, Walter Benjamin, ist es existentiell notwendig mit Erinnerung tätig umzugehen, »denn dies bedeutet, Erfahrungen mit der Vergangenheit so zu bearbeiten, daß an ihnen etwas begriffen werden kann« (vgl. Haugg, Vorlesungen zur Einführung in die Erinnerungsarbeit. 1999). Die Folge von Vergessen und Verdrängen ist der zweidimensionale Mensch, erst das Sich-Erinnern eröffnet eine Perspektive.

Diese Perspektive wird auf der Bühne sinnlich wahrnehmbar. Mit professioneller Unterstützung entwickeln die Gruppen ihre Erinnerungstheaterstücke selbst. Der Inhalt basiert zum einen auf ihren Erzählungen (oral history), zum anderen auf historischen Quellen wie Chroniken, Zeitungsartikel, Filmmaterial etc. Persönliche und kollektive Erinnerungen werden dramaturgisch verwoben und auf diese Weise in der sozialen Wirklichkeit verankert. Entweder spielen die Gruppenmitglieder ihre Erinnerungen selbst oder sie lassen den fertigen Stücktext von BerufsschauspielerInnen in Szene setzen. Die theatrale Verpackung wird variabel gehandhabt: Sie reicht vom schlichten Lesedrama, über kritisches Volkstheater bis zur glitzernden Musical-Revue.

Anhand der in London gezeigten Produktionen zeichnen sich gegenwärtig drei Zugänge zum Erinnerungstheater ab. So verfolgt beispielsweise die Uhan Shii Theatre Company aus Taiwan in Echos of Taiwan einen ethnischen Ansatz, indem sie die Geschichte ihres Volkes darstellt. Hingegen fußt On the River, ein Stück des Remeniscence Centers über die Lebensbedingungen von Londoner Dockarbeitern am Anfang des 20. Jahrhunderts, auf sozialen Gegebenheiten. Das Erinnerungstheater Wien schließlich arbeitet in »Wenn ich mir ’was wünschen könnte« biografieorientiert: Sieben Frauen zwischen 58 und 80 Jahren spielen Schlüsselmomente aus sieben Jahrzehnten.

Der biografieorientierte Zugang ist die Schnittstelle zum SeniorInnentheater. Rückschau, Überblick und Erinnerung sind eben Vorrechte des Alters. Viele Gruppen, die methodisch Erinnerungsarbeit anwenden, fühlen sich dem Alten- bzw. SeniorInnentheater zugehörig. Tanztheater Dritter Frühling (Schweiz) und Footsteps of the Elders (USA), beide mit beeindruckenden Produktionen in London vertreten, drücken dieses Selbstverständnis bereits in ihren Namen aus.

Egal ob Alten-, SeniorInnen- oder Erinnerungstheater. Alle Gruppen verfolgen das eine Ziel: etwas von sich, von ihren Leben, ihren Erfahrungen und ihrer Realität mitzuteilen, sei es an Angehörigen der eigenen Generation, sei es an Menschen jüngerer Generationen.

Ingrid Türk-Chlapek