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Erinnerung als Auftrag

Mag.a Gudrun Blohberger

Referat anlässlich der Eröffnung
der Wanderausstellung »Wege nach Ravensbrück«, am 18. 10. 2001

Sehr geehrte Damen und Herren, wir feiern heute die Eröffnung der Wanderausstellung »Wege nach Ravensbrück«, die, nachdem sie bereits in vielen anderen Bundesländern gezeigt wurde, nun auch den Weg nach Klagenfurt gefunden hat. Natürlich geht so etwas nicht von alleine, sondern brauchte es in diesem Falle engagierte Frauen, die sich viel Zeit genommen und Mühe gemacht haben, sie gut unterzubringen und ein Rahmenprogramm zu entwerfen, das im Einklang mit der Ausstellung bei den BesucherInnen Eindrücke und Spuren hinterlassen soll. Diesen engagierten Frauen vom Verein Artemis Generationentheater möchte ich an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön aussprechen – dafür, dass sie einen Teil dazu beitragen, auch in Kärnten die Vergangenheit wach zu halten und am Finden und Bewahren der Erinnerung zu arbeiten.

Die Wanderausstellung »Wege nach Ravensbrück – Erinnerungen von österreichischen Überlebenden des Frauenkonzentrationlagers Ravensbrück« gewährt uns Einblicke in die Lebensgeschichten von neun Frauen, die zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts geboren wurden. Heute 70-, 80- oder 90-jährig, manche von ihnen bereits verstorben, entschlossen sie sich vor wenigen Jahren dazu ihre Lebensgeschichte jungen Wissenschaftlerinnen zu erzählen, im Bewußtsein darüber, dass das was ihnen widerfahren ist, Bedeutung besitzt, nicht in Vergessenheit geraten darf oder überhaupt erst nach mehr als einem halben Jahrhundert ins Bewußtsein der Menschen geholt werden und auch für die nächste Generation zugänglich sein muss. Durch ihre Erzählungen entstand diese Ausstellung, mit der sich seither viele BesucherInnen in ganz Österreich auseinander gesetzt haben und die nun auch den Kärntnerinnen und Kärntnern zugänglich ist. Außerdem wurden die Lebensgeschichten der Frauen in einem Videoprojekt aufgenommen und eine ausführliche wissenschaftliche Dokumentation1 darüber geschrieben. Bevor ich nun darauf eingehe, was die Lebensgeschichten der Frauen miteinander verbindet, möchte ich die Unterschiede aufzeigen, die, wie mir scheint wichtig sind, um heute, mehr als fünfzig Jahre nach der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, annähernd die Dimensionen erahnen zu können, wen ein Regime treffen kann, ist es gewalttätig, entschlossen, brutal, zu allem bereit und von vielen (um nicht zu sagen den meisten) bejubelt, unterstützt und toleriert.

Die Frauen, von denen sie in der Ausstellung erfahren werden, kommen aus unterschiedlichsten Lebenszusammenhängen. Sie genossen eine längere oder kürzere Schulbildung, erlernten die unterschiedlichsten Berufe, wohnen in verschiedenen Regionen Österreichs, wuchsen in ärmlichen oder in wohlbehüteten Verhältnissen auf usw. Eine von ihnen, Leopoldine B. war homosexuell. Christine Berger-Wagner widerständig gegen das Regime. Eva Gutfreund ist Jüdin. Aloisia Hofinger verliebte sich in einen polnischen Zwangsarbeiter und wurde schwanger. Hermine Nierlich-Jursa war Kommunistin und im Widerstand aktiv. Anna Olip-Jug spricht Slowenisch als ihre Muttersprache und unterstützte Partisanen. Gisela Sarközi-Samer kommt aus einer Romafamilie, Rosa Winter ist eine Sintezza. Katharina Thaller gehört den Zeugen Jehovas an. Lebend in den verschiedensten Winkeln Österreichs hätten sich diese Frauen wahrscheinlich nie kennengelernt. Was sie dennoch verbindet: sie sind Frauen, sie waren damals jung und blicken heute auf einen Abschnitt ihres Lebens zurück, in dem sie Ähnliches ertragen mußten – auf ihre Zeit im Konzentrationslager Ravensbrück, in das sie verschleppt wurden, das ihnen Jahre ihres Lebens nahm, das sie nur knapp überlebten und in dem sie Dinge sahen und erlebten, von denen man behauptet »es gäbe keine Worte, sie zu beschreiben«.

Auch wenn Worte für die Überlebenden nie ausreichen werden, um dem gerecht zu werden, was ihnen angetan wurde und unser Verstand als Zuhörer nie die Phantasie aufbringen kann, nur annähernd zu begreifen, was die Verfolgten, Verschleppten, Inhaftierten, Gedemütigten und zu Tode Gequälten ertragen mussten, so denke ich, ist es zumindest notwendig es zu versuchen. Es ist ein Teil unserer Geschichte. Der Teil, den niemand gerne ansieht, vor dem einem graut, vor dem man sich schämt, vor dem man aber Angst haben sollte. Angst, dass sich Diskriminierung und Denunziation nochmals wiederholen könnten, in diesem Ausmaß, das wir eben heute kaum mehr verstehen können.

50 Jahre nach der nationalsozialistischen Herrschaft ist man heute in der Lage viele historische Details nachzulesen und sich einen Überblick über dieses verbrecherische System zu schaffen. Es heißt, dass die Zeit des 2. Weltkrieges und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eines der bestbeforschten Kapitel der Vergangenheit ist. Diese Tatsache ist jedoch kein Garant dafür, diese Zeit auch zu verstehen und aus den Erkenntnissen der Wissenschaften zu lernen. Zu viele aktuelle Beispiele weisen darauf hin, dass dem nicht so ist. Seit den 1980ern gibt es eine Forschung die versucht, anstatt anonymen Leichenbergen und horrenden Opferzahlen, Verstorbene und Überlebende als Menschen zu erfassen und ihre Lebensgeschichten insofern zugänglich zu machen, als man sich an die Lebenssituationen der Menschen, die zu Opfern wurden, einfühlen und annähern kann. Wie schnell tut man etwa die Zahl 6 Mio. ermordeter Jüdinnen und Juden mit dem Gedanken ab »das kann sich keiner vorstellen« und wie schwer entzieht man sich hingegen einer einzigen Lebensgeschichte der Frauen, von denen man in der Ausstellung erfährt. Sie sind Frauen, sie waren jung, sie hatten Kinder, Ehemänner, Mütter und Väter, so wie ich auch …

Zu lange wurden die Verbrechen des Nationalsozialismus und 2. Weltkrieges an Fronten, an Kriegsschauplätzen gesucht, wurden die Opfer als Soldaten und Kameraden personifiziert und dabei die ausgesiedelten, verfolgten und ermordeten Nachbarn vergessen. Heute stehen wir an einer Wende: nicht mehr lange können wir diejenigen, die den Nationalsozialismus überlebten befragen, um für uns, die nachfolgende Generation, ein klareres Bild zu finden und vor allem, um uns einzufühlen und anhand ihrer Lebensgeschichten der Frage nachzugehen: »Was hat das mit meiner Person und meinem heutigen Leben zu tun?«, also eine Brücke von der Vergangenheit zur Gegenwart zu schlagen.

Im vergangenen Monat besuchten Frauen der Lagergemeinschaft Ravensbrück den Persmanhof, eine Gedenkstätte der Kärntner PartisanInnen, in Bad Eisenkappel/Zelezna kapla. Diese Gelegenheit nahmen einige junge Frauen wahr, um den BesucherInnen Fragen zu ihrer Lebensgeschichte zu stellen. Mehrmals hörte man von den überlebenden Ravensbrückerinnen: »Zu lange haben wir nichts erzählt. Wir haben viel zu wenig erzählt. Die jungen Leute wissen nichts und können nichts wissen, weil wir ihnen nichts mitgeteilt haben!« Darauf möchte ich antworten: »Ihr seid aber auch nicht gefragt worden. Keiner oder viel zu wenige haben sich eurer angenommen, sich für eure Geschichte interessiert«.


Anmerk. 1) Amesberger, Helga und Halbmayr, Brigitte (Hrsg.): Vom Leben und Überleben - Wege nach Ravensbrück. Das Frauenkonzentrationslager in der Erinnerung. Band I: Dokumentation und Analyse; Band II: Lebensgeschichten. Promedia Druck- und Verlagsgesellschaft. Wien, 2001.