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Eine Annäherung an das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück

Silvia Feistritzer

Referat anlässlich der Eröffnung
der Wanderausstellung »Wege nach Ravensbrück«, am 18. 10. 2001

Herzlich Willkommen! Ich möchte mich, mit Ihnen gemeinsam, dem Frauen-Konzentrationslager (FKZ) Ravensbrück annähern. Dabei sei erwähnt, dass mein Wissen über die »Welt der Krematorien« lediglich ein angelesenes, ein rekonstruiertes ist, ein kläglicher Versuch das Unbegreifliche zu begreifen.

Ravensbrück liegt nördlich von Berlin. An diesem Ort wurde 1939 das reichsweite FKZ installiert, in welchem bis 1945 über 132.000 Frauen, Mädchen und Kinder inhaftiert wurden. Es gab auch in anderen Lagern Frauenabteilungen, sowie es in Ravensbrück Männerabteilungen gegeben hat, doch Ravensbrück bei Fürstenberg in der Uckermark war das einzige, auch offiziell so benannte Frauenkonzentrationslager. Es wurde von November 1938 bis April 1939 von männlichen Häftlingen des KZ Sachsenhausen aufgebaut und im Mai 1939 fertig gestellt. Die Organisation des Frauenlagers unterschied sich nicht von der der Männerlager. Das Lager wurde zum Großteil von Frauen bewacht, den sogenannten »Aufseherinnen«, sie wurden formal als Gefolge der Waffen-SS zugeordnet. Das Lager Ravensbrück spielte bei der Deportation von Frauen aus ganz Europa die Rolle einer Drehscheibe. Drehscheibe deshalb, weil sich rund um Ravensbrück ein Netzwerk von Außenkommandos gesponnen hat, diese wurden von jungen Frauen aus dem FKZ »bestückt«. Die Vermittlung der Frauen erfolgt über das SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt.

»12 Stunden Arbeit, eine Woche am Tage, eine Woche in der Nacht; sonntags ist Erholung. Hinzu kommt morgens und abends immer die Zeremonie der Appelle. Wecken um 4 Uhr. Wir stellen 7 Kilo schwere Luftabwehrgranaten her. Sie kommen als Metallplatten in einem Nachbargebäude an, in dem Häftlingsfrauen sie bearbeiten, auswalzen, formen und gießen. Wir machen die Endbearbeitung: den Boden, das Säurebad, die Elektrolyse. Letzter Arbeitsgang: Mit einer Kameradin fetten wir sie ein, bevor sie in einen Karren gestapelt werden. Den ganzen Tag lang muss man diese 7 Kilos bewegen, von einem Tisch herunternehmen, um eine drehende Bürste halten, dabei mit einem Lappen voller Fett bestreichen und dann in den Wagen legen. Das ganze 200, 300, 400 mal am Tag. Der Takt wird geschlagen, die Geschosse stauen sich auf. Der Meister brüllt. Die SS-Aufseherin prügelt – unter solchen Verhältnissen lernt man den Beruf leicht.« (Suzanne Orts, in: KZ Buchenwald 1937–1945)

Zu Betrieben, die mit Frauen produzierten – um nur einige zu nennen – zählten die HASAG-Werke, mit Produktionsstätten in Leipzig, Altenburg, Meuselwitz, Schlieben, Tachau, Colditz und Flossenbürg. Weitere Betriebe waren die Polte Werke Magdeburg, die J. G. Farbindustrie, die Firma Krupp in Essen, die Gelsenberg Benzin A.G. in Gelsenkirchen. Der größte Betrieb, der mit Häftlingsfrauen produzierte, war die HASAG in Leipzig. Dieses Außenkommando zählte 5000 Frauen.

Der Konzern Siemens siedelte sich aus wirtschaftlichen Gründen unmittelbar an das FKZ Ravensbrück an und war bereit für arbeitstüchtige Frauen 7 Mark zu bezahlen. Westlich des FKZ befand sich das Deutsche Ausrüstungswerk (DAW), es wurde am 3. Mai 1939 gegründet und arbeitete ebenfalls mit Frauen aus dem Lager.

Innerhalb des Lagers befanden sich die SS-Betriebe Werkstätten, eine Schreibstube, eine Schusterei, eine Nähstube, eine Wäscherei, eine Küche. In diesen soeben aufgezählten Betrieben aber auch in den lagereigenen Kommandos arbeiteten die Frauen unter schwierigsten Bedingungen. Ihre Kleidung war dünn und schützte den Körper wenig, es wurde verboten, Handschuhe zu benützen oder den Stoff der Ärmel vorzuziehen, um den Händen Schutz zu geben. Die Frauen benützten ungeschützt Nitratverbindungen. Die Arbeitszeit betrug zwischen 10 und 12 Stunden.

Der Alltag im Lager wurde bestimmt durch Appellstehen, kläglichste Essensversorgung, durch das Auslöschen der Namen, welche durch bloße Nummern ersetzt wurden, durch Angst und Grenzerfahrungen mit dem Tod. Für »kleine Vergehen«, wie etwa das Reden, Beten, Weinen oder vor Erschöpfung nicht gut genug erfüllte Arbeit haben sich die Aufseherinnen Strafen ausgedacht: eine der Strafen war das Strafstehen bei Kostentzug, eine andere Form der Bestrafung der »Strafblock«. Er bedeutete Schwerstarbeit unter Essensentzug in einer isolierten Baracke und war ein Raubtierkäfig, worin sich die Häftlingsfrauen mit grünen und schwarzen Winkeln gegenseitig hetzten und quälten.

Noch nicht genug der Demütigung und Erniedrigung. Die Phantasien und Taten des nationalsozialistischen Regimes gingen noch weiter. So wurden in dem FKZ Zwangssterilisationen vorgenommen und dies vornehmlich an Zigeunerinnen. Im Februar 1945 wurde an einer Gruppe von ca. 100 Zigeunerinnen, worunter auch 12 jährige Mädchen waren, Sterilisationsexperimente durchgeführt. In Fällen der »Rassenschande« wurden mit Vorliebe Abtreibungen gemacht. Ab Mitte 1942 wurde in Ravensbrück jeder Embrio, egal welchen Alters und sofern von jüdischen oder ausländischen Männern gezeugt, abgetrieben. Die Abtreibungsärzte hatten k e i n e gynäkologische Ausbildung. »Die junge Frau, meine Bettgenossin (…) hat Vertrauen zu mir gefasst und mir ihre Geschichte anvertraut. Sie heißt Anika und stammt aus dem Fränkischen, ist gebildet (…) Ihren Freund Benno, einen Juden, den sie offiziell nicht kennen dürfte, versteckte sie bei Ausbruch des Krieges in einer Scheune, auf dem Hof ihres Vetters. Es flog auf. (…) Anika landete in Ravensbrück. Es erstaunt mich, dass sie im siebenten Monat schwanger ist; ich hätte es nicht bemerkt. (…) Anika streicht mit einer rührenden Geste der Zärtlichkeit über ihren gewölbten Leib: Sein Kind, sagt sie (…) vor einer Woche haben sie Anika nach dem Morgenappell aufgerufen und abgeführt. Gestern morgen kam sie zurück (…) die Wangen eingefallen, die Augen dunkel gerandet, leer. (…) Es stimmt also, denke ich hungrig (…) sie treiben die Ungeborenen ab. (…) Anika rührt sich nicht, sehr aufrecht sitzt sie auf ihrem Bettplatz und lacht mit leeren Augen vor sich hin. Sie hat den Verstand verloren (…).« (Lundholm 1991, 33-35)

Umso mehr hat es mich gefreut, als mich vor wenigen Wochen bei einer Feierlichkeit am Persmanhof eine Frau angeredet hat. Sie hat gesagt: »Ich bin 1944 in Ravensbrück geboren!«

Neben den Massensterilisationen und Abtreibungen wurden in dem FKZ unzählige medizinische Versuche gemacht: Sulfonamid-Experimente, Knochen-, Muskel- und Nervenversuche. Die medizinischen Versuche fanden in dem Zeitraum vom 1. August 1942 bis zum 15. August 1943 statt. Als bevorzugtes Experimentiermaterial wurden polnische Studentinnen, die sich selber als »Kaninchen« bezeichneten, genommen. Die jungen polnischen Frauen wurden in Gruppen von fünf bis zehn Personen gewaltsam in das Krankenrevier gebracht und unter Narkose gesetzt – manchmal fehlte die Zeit zu narkotisieren. Beim Erwachen hatten die Mädchen schwere Wunden an den Beinen. Verantwortlich für die »Verbrechen an der Menschlichkeit« in Ravensbrück waren die SS-Ärzte Dr. Karl Gebhardt, Dr. Schiedlausky, Dr. Rudolf Rosenthal, Dr. Percy Treite, Dr. Adolf Winkelmann, Dr. Walter Sonntag, Dr. Tommer, Dr. Franz Lucas, Dr. Sigismund Rascher, Dr. Ludwig Stumpfegger, die SS-Ärztin Dr. Herta Oberhauser und unzählige Oberschwestern des Lagers. Die Lagerkommandanten Koegel und Suhren, die Adjutanten Bräuning und Schwarzhuber, zwei weitere Oberaufseherinnen Rabe und Knopp. So könnte die Aufzählungsreihe der Verantwortlichkeit bis ins Unendliche gezogen werden. Dr. Herta Oberhauser sollte 1954 als »Spätheimkehrerin« glänzen und eine Privatpraxis in Schleswig-Hohlstein eröffnen.

Diese Ärztinnen und Ärzte waren es auch, die Frauen für Lagerbordelle, wie Mauthausen, Auschwitz, Buchenwald, Sachsenhausen, Neuengamme, Flossenbürg, Dachau und Mittelbau-Dora wählten. Die Nationalsozialisten haben die Prostitution zwar für »gemeinschädlich« gehalten und viele Prostituierte inhaftiert und auch nach Ravensbrück geschickt. Die unkontrollierbare, sichtbare Prostitution auf der Straße sollte abgeschaffen werden, nicht aber die Prostitution an sich. Im Juni 1941 erteilte Himmler den Befehl, im KZ Mauthausen ein Bordell für Häftlinge zu errichten. Ein Jahr nachdem Himmler die Anordnung erteilt hatte, wurde im Sommer 1942 das erste Bordell in einem KZ im Lager Mauthausen eröffnet. Im Dezember 1942 in dem Außenlager Mauthausen-Gusen. Für die Häftlingsbordelle Mauthausen und Gusen wurden 21 Frauen aus dem FKZ Ravensbrück, diesmal in der Funktion Zwangsprostituierter, überstellt. Diese Frauen wurden zum Großteil wieder nach Ravensbrück zurückgeschickt und dort ermordet.

Am 15. September 1944 kam er zur Gründung des FKZ Mauthausen, das weibliche SS-Wachpersonal wurde wiederum in Ravensbrück ausgebildet. Der letzte bekannte Transport von Ravensbrück nach Mauthausen war dieser mit ungefähr 1.800 Frauen und Kindern, datiert mit dem 2. März 1945.

Am 5. April 1945 um 9 Uhr morgens verließen die ersten Frauen, im Rahmen einer Rettungsexpedition des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes das Lager Ravensbrück. Diese »Aktion der Weißen Busse« oder »Aktion Bernadotte", wie sie genant wurde, brachte insgesamt 15.000 Menschen nach Schweden. Nach unzähligen »Todesmärschen« befreite die Rote Armee am 1. Mai 1945 das FKZ Ravensbrück endgültig.

Wie bereits erwähnt wurden in Ravensbrück Frauen aus unterschiedlichsten Nationen inhaftiert, ebenso vielfältig waren auch die Sprachen. Es wurde nicht alleine deutsch gesprochen, sondern auch französisch, spanisch, polnisch, holländisch, russisch, slowenisch, tschechisch, dänisch … Genauso viele Sprachen wie Inhaftierungsgründe, so war es beispielsweise für Frau Anna Olip-Jug Grund genug slowenisch zu sprechen und sich als bewusste Kärntner Slowenin zu fühlen, um sich in Ravensbrück wiederzufinden. – ; – viel zu lange. Und deswegen hat es auch so lange gedauert, bis es Ausstellungen gibt, wie diese, die wir heute hier in Klagenfurt eröffnen. Bei denen wir erfahren, wie es euch ergangen ist, unter welchen fadenscheinigen Gründen ihr verfolgt und inhaftiert wurdet, welche Grausamkeiten ihr über euch ergehen lassen musstet, wie stark ihr wart und wieviel Glück ihr hattet, das alles zu überleben. Wir erfahren über eure Wege nach Ravensbrück und wenn wir als BesucherInnen es schaffen uns darauf einzulassen, werden wir vielleicht etwas sensibler für die Mechanismen, die am Beginn solcher Wege stehen.«

Herzlichen Dank für ihre Aufmerksamkeit. Guten Abend.

Danke.